Omega-Version

CIS/Wintersemester 2000/2001
Proseminar: Morphologie und Lexikographie
Dozent: Dr. Daniel Schnorbusch
Referenten: Manuel Dornbusch, Wolfgang Mederle, Alexander Schädle, Johannes Stiehler
29.01.2001

Überarbeitete und erweiterte Version Sommersemester 2001
Proseminar: Semantik
Dozenten: Prof. Franz Guenthner, Stefan Ulrich
Referenten: Manuel Dornbusch, Wolfgang Mederle, Alexander Schädle, Johannes Stiehler
22.05.2001

Wordnet

Vorgeplänkel: Wiederholung semantischer Beziehungen

Antonymie
Antonyme sind „Gegenwörter”. Oftmals bezeichnen sie „einen Gegensatz, der ohne Zutun des Menschen in der Natur existiert: Leben — Tod, Morgen — Abend, leben — sterben, schlafen — wachen, klein — groß, häufig — selten.
Andererseits kann es sich um Gegenstände handeln, die an Wertungen des Menschen gebunden sind: Nutzen — Schaden, sauber — schmutzig, gut — schlecht. Im Einzelnen beziehen sich die Antonyme z. B. auf Zustände und Tätigkeiten des Menschen: Gesundheit — Krankheit, Jugend — Alter, fröhlich — traurig, arbeiten — faulenzen. Auch Gefühle können sich in dieser Weise gegenüberstehen, z. B. Liebe — Haß, Freude — Trauer, grob — zart; Naturerscheinungen: Licht — Dunkel, Wärme — Kälte, erblühen — verblühen; Zeitunterschiede: Tag — Nacht, früh — spät, damals — jetzt[1].
Daß diese Gegensätze eine wichtige Rolle spielen, zeigt sich daran, daß dafür besondere Wortbildungsmittel zur Verfügung stehen, vor allem bestimmte Präfixe wie auf- — zu-, ein- — aus- etc.
Solcherlei Gegensätze sind ein elementarer Bestandteil der Wahrnehmung und dementsprechend häufig im Wortschatz zu finden. Viele Gegensätze sind allerdings nicht so eindeutig wie die oben angegebenen. Sind Eltern etwa ein Antonym zu Kinder oder zu Kinderlose?
Antonyme sind häufig zwei Pole. Oft gibt es aber mehr als nur zwei Auslegungsmöglichkeiten. So könnte alt ein Gegensatz zu jung sein, aber genauso gut zu neu, frisch oder modern. Die Polysemie (s. u.) macht oft die eindeutige Festlegung eines Gegensatzpaars schwierig oder (v. a. ohne Kontext!) gar unmöglich. So ergibt eine Suche mit Wordnet nach dem Antonym für das Wort hot nicht etwa nur cold, sondern noch 22 weitere Möglichkeiten wie etwa unwanted oder gar nonradioactive.
Polysemie
Polysemie bedeutet „Mehrdeutigkeit”. Das Horn beispielsweise kann nicht nur den Kopfschmuck eines Tieres bezeichnen, sondern ebenso „ein Material, ein Blasinstrument, eine Bergform, eine Beule am Kopf und in der Verkleinerungsform Hörnchen ein Gebäck.”[2].
Alle verschiedenen Bedeutungen eines Wortes zusammen ergeben die lexikalische Bedeutung. Bei polysemen Wörtern gibt es meist eine „Hauptbedeutung”. So wird man bei Fuchs zuerst an ein Raubtier denken und erst in zweiter Linie an einen listigen Menschen.
Homonymie
Sobald bei zwei Bedeutungen eines Wortes für den durchschnittlichen Sprecher kein Zusammenhang (mehr) besteht, spricht man von Homonymen, also Wörtern, die nur zufällig lautlich übereinstimmen. Ein Beispiel dafür wäre das Wort Schloß, das sowohl ein Türschloß als auch ein Königsschloß sein kann, wobei beide Bedeutungen den gleichen Ursprung, „Vorrichtung zum Verschließen”, haben. Auch Lautverschiebung kann zu Homonymen führen. Tau bezeichnet sowohl eine Art von Niederschlag als auch ein Seil. Der Tau als Niederschlag war aber, im Gegensatz zum Seil-Tau, im Althochdeutschen noch ein „tou”.
Die Homonyme selbst können unterschieden werden in Homophone, d. h. gleiche Aussprache, verschiedene Schreibung (Moor — Mohr), und in Homographe, die gleich geschrieben, aber verschieden ausgesprochen werden (kosten in Bezug auf Geld mit kurzem O, in Bezug auf Liebkosung mit langem O).
Hyperonymie
Gleichbedeutend: Superordination. „Semantische Relation der lexikalischen Überordnung zur Kennzeichnung hierarchieähnlicher Gliederungen des Wortschatzes: Obst ist ein Hyperonym von Apfel, Birne, Pflaume, denn der Übergang von z.B. Apfel zu Obst bringt eine Verallgemeinerung der Bedeutung mit sich.”[3]. Das Gegenteil von Hyperonymie ist die Hyponymie.
Meronymie
Teil-Ganzes-Relation. Ein Beispiel wäre die Relation Finger —>  Hand —>  Arm. Finger ist ein Meronym von Hand, Zylinder ist ein Meronym von Motorblock. Der übergeordnete Begriff trägt die Bezeichnung Holonym. Familie wäre etwa ein Holonym für Kind.
Synonymie
Diese liegt dann vor, wenn die Bedeutungen zweier oder mehrerer Wörter sich so stark berühren, daß sie sich zu decken scheinen [AFP 541]. Vollständige Überdeckung scheint kaum möglich, da Wörter zumeist entweder begrifflich differenziert werden können (begriffliche Synonyme wie Buch, Band, Werk, Foliant), oder sich stilistisch unterscheiden (stilistische Synonyme wie Haupt, Kopf, Schädel). Gerade onomasiologisch gesehen (i. e. vom Ding zum Begriff kommend) ist eine genaue Überdeckung zweier Wörter sehr selten zu konstatieren. Wenn man vor einem PKW steht, wird man diesen in der Regel, ohne groß darüber nachzudenken, etwa als Wagen oder Auto bezeichnen, obwohl man mit bestimmten PKWs eher die eine oder die andere Bezeichnung verbindet.

Wordnet

Wordnet ist eine lexikalische Datenbank für die englische Sprache, die online abgefragt werden kann. Entwickelt und vervollständigt wird es am Cognitive Science Laboratory der Princeton University, New Jersey, USA, seit 1985. Ähnliche Datenbanken wurden seitdem in verschiedenen Ländern aufgebaut. Die deutsche Version, das GermaNet, liegt auf den Servern der Uni Tübingen und ist, im Gegensatz zum Wordnet, kostenpflichtig.

Die Struktur der Datenbank und die Beziehungen zwischen den einzelnen Datensätzen berücksichtigen aktuelle psycholinguistische Erkenntnisse über das lexikalische Gedächtnis. Die Hauptwortarten Nomina, Adjektive, Adverben und Verben sind in Synonym-Felder unterteilt, von denen jedes ein lexikalisches Konzept repräsentiert.

Konzepte

Wordnet wurde auf der Basis dreier grundlegender Hypothesen gestaltet:

  1. Trennbarkeit (separability hypothesis). Es wird davon ausgegangen, daß der lexikalische Teil der Sprache vom Rest isoliert betrachtet und erforscht werden kann.
  2. Musterbildung (patterning hypothesis). Lexikalisches Wissen kann nur beherrscht und angewendet werden, wenn Bedeutung und Beziehungen zwischen Wörtern bestimmten Schemata unterworfen sind.
  3. Durchdringung (comprehensiveness hypothesis). Um es einer Maschine zu ermöglichen, natürliche Sprache automatisch so zu verarbeiten wie es ein Mensch tut, muß ihr ein ebenso umfassendes lexikalisches Wissen zur Verfügung stehen.

Mit dem Anwachsen der Datenbank wurde schnell offensichtlich, daß man sich gründliche Gedanken über die Struktur machen müßte, wollte man nicht im Chaos enden. Erster Schritt war die Aufteilung der Datei in kleinere Einheiten, wobei man nach syntaktischen Kritereien filterte: je eine Datei für Nomina, Verben und Adjektive (Adverben wurden erst 1992 hinzugefügt).
Doch auch das wurde bald — vor allem bei der mächtigsten Wortart, den Nomina — unbeherrschbar. Ausweg war eine „ontologische” Kategorisierung der Nomina. Ontologie ist die Lehre vom Sein an sich, und was gemacht wurde, war folgendes: Man nahm eine Anzahl von Adjektiv-Gegensatzpaaren und betrachtete, welchen Arten von Nomina diese korrekt beigeordnet werden konnten. Das Ergebnis waren 25 Klassen von Nomina, die nun einfacher zu handhaben waren. Die Verben wurden auf ähnliche Art und Weise aufgeteilt, nur die Adjektive blieben unsortiert.

Die Basiseinheit in Wordnet ist das Wort. Anders als in den meisten Lexika gesellen sich zum Wort auch noch kurze Phrasen, die eine semantische Einheit bilden. Solche Gebilde sind im Deutschen wesentlich seltener, da man sie dort in der Regel zu einem neuen Wort zusammensetzen kann, z. B. Motorblock versus engine block.

Hauptverknüpfung zwischen den Worteinheiten sind die synsets (Synonym-Datensätze). Wörter sind also mit ihren Synonymen verknüpft. Die Basisstruktur ähnelt der eines stark erweiterten Thesaurus. Zusätzlich dazu gibt es Erklärungen und Beispiele zu den Synsets, die es erlauben, Wordnet als Wörterbuch zu nutzen.

Repräsentation von Verben in Wordnet

Lexikalische und semantische Relationen zwischen Verben und Synsets

Erforderlichkeit (Entailment)

Erforderlichkeit bedeutet, daß der Sinn eines Verbs notwendigerweise den Sinn eines anderen enthält, also eine Wenn-Dann-Relation. Beispiel: Das Verb schnarchen enthält die Information des Verbs schlafen. Wer nicht schläft, schnarcht nicht. Existiert diese Beziehung auch in umgekehrter Richtung, handelt es sich um Synonyme.

Hyponymie

Direkte Hyponymie wie bei Nomina ist bei Verben schwer festzustellen. Während man bei Nomina sagen kann: Eine Katze ist ein Säugetier, ist eine solche Feststellung bei Verben nicht möglich, ohne sie vorher zu nominalisieren. Der Ausweg, der für Wordnet benutzt wurde, ist die Troponymie, die durch die Aussage: Zu V1 bedeutet, auf eine bestimmte Art und Weise zu V2.

Antonymie

Hauptproblem bei Verben mit gegenteiliger Bedeutung ist die häufig starke Bindung der Opponenten, die die Verwendung von Synonymen als Ersatz im Zusammenhang verbietet. Während geben in etwa synonym ist zu überreichen, gehört geben fest zu nehmen als Gegenspieler.
Obwohl gegenteilige Bedeutung, gibt es Antonyme, die die gleichen Troponyme haben. Vergessen und erinnern teilen sich das Troponym erfahren. Interessant sind auch die Fälle, in denen Antonym gleichzeitig erforderliche Über-Bedingung (Entailment, s.o.) ist: Um etwas öffnen zu können, muß es vorher geschlossen worden sein.

Kausalitätsbeziehungen

Diese bestehen zwischen Verben, die eine Ursache, und solchen, die eine Wirkung angeben, z. B. geben und haben.

Polysemie und Troponymie: Autohyponymie

Bestimmte Verben schränken ihre Bedeutungsvarianz in bestimmten Zusammenhängen selbst ein, da eine implizite (oder von einem dazugedachten Adverb bestimmte) Bedeutung überwiegt: Er trinkt wieder impliziert, daß trinken in der Bedeutung Alkohol trinken gebraucht wird.

Alternative Modelle

Wordnet repräsentiert nur einen Ansatz, ein Lexikon zu entwerfen. Es gibt viele weitere Ansätze, und einige davon könnten auf Wordnet angewendet werden, ohne die vorhandene Struktur zu beeinträchtigen.

Semantische Felder

In semantische Felder aufgeteilte Lexika weisen gewissen Ähnlichkeiten mit der Wortbereichsstruktur in Wordnet auf. Eine semantische Feldanalyse fußt auf der Annahme, daß Wortbedeutungen sich aus Ähnlichkeits-und Kontrastrelationen zu den anderen Wörtern im Feld ergeben. Anders als bei darauf aufgebauten Lexika, die dafür paradigmatische und syntagmatische Angaben verwenden, sind in Wordnet die Informationen, wie ein Wort verwendet wird, in den Beispielen, die den Synsets angefügt sind, enthalten.

Schemata und Rahmenanalyse

Einige Lexikographen schlagen eine Kategorisierung nach Themenbereichen vor. Die kognitiven Strukturen für diese wären als Vorwissen vorausgesetzt. Ein Rahmenbereich könnte etwa Geldgeschäfte sein, mit den Kategorien Geld, Käufer, Verkäufer, Güter und den zugehörigen Verben kaufen, verkaufen, verlangen, kosten etc. Aus solchen Strukturen könnten auf elegante Weise die zum Themengebiet passenden Sätze bzw. syntaktischen Strukturen gebildet werden. In Wordnet sind Verben nicht mit spezifischen Nomina verknüpft, wohl aber mit syntaktischen Rahmen und einer Angabe der Themenbereiche, unter die das Verb eingeordnet werden kann. Allerdings gibt es keine Einteilung in semantische Kategorien wie Käufer.

Kompositionale Analyse

Es gibt Versuche, den semantischen Gehalt aller Wörter auf wenige — „atomare” — Grundkomponenten zu reduzieren. Aktuelle Bestrebungen legen die lexikal-konzeptuelle Struktur (engl. Abk. LCS) zugrunde, die konzeptuelle Kategorien wie Weg, Art, Ort, sowie atomare Verben wie werden, tun, machen verwendet. Ein Verb wie verlieren würde so als ein Besitztum, das einen abstrakten Weg nimmt (nämlich weg vom Besitzer), beschrieben. Obwohl gewisse Überlappungen in der Struktur da sind, wäre eine solche Betrachtungsweise aus dem Datenbestand von Wordnet nur schwer abzuleiten.

lexikalische Unterordnung

Manche Verben könnte man als semantisch aus anderen Verben abgeleitet bezeichnen, indem man ihre kontextspezifische Bedeutung so umschreibt, daß sie nicht mehr das Hauptverb darstellen. Er bürstete den Schmutz aus könnte beispielsweise umschrieben werden mit Er entfernte durch Bürsten den Schmutz. Solche Zusammenhänge werden in Wordnet durch die unterschiedenen Bedeutungen der polysemischen Verben dargestellt.

Semantische Relationen und syntaktische Regularien

Man kann feststellen, daß Verben, die semantische Gemeinsamkeiten aufweisen, häufig ähnlichen syntaktischen Regeln gehorchen. Die Verbkategorien, die in Wordnet vorliegen, ähneln stark jenen, die andere aufgrund syntaktischer Analyse entwickelt haben.


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Quellen

[1] Agricola, Erhard (Mithrsg.), Fleischer, Wolfgang (Mithrsg.), Protze, Helmut (Mithrsg.), Kleine Enzyklopädie — Die deutsche Sprache, 1. Aufl. 1969, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig, S. 556f.

[2] ebd., S. 529

[3] Bußmann, Hadumod, Lexikon der Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1990, Kröner Verlag, Stuttgart

Fellbaum, Christine (Hrsg.), Wordnet — an Electronic Lexical Database, 2. Aufl. 1998, The MIT Press, Cambridge/Massachusetts, USA


Last modified: 2019-12-24 16:35

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